Das Verhaltensgesetz
Albert Einstein zitiert Schopenhauers Ansicht über den Freien Willen:
„Der Mensch kann wohl tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will!" Schopenhauers Wort von der Unfreiheit des Willen begleitet mich in allen Lebenslagen und bewahrt mich davor, den Menschen allzu ernst zu nehmen und den guten Humor zu verlieren. Albert Einstein
Wer noch Bedenken haben sollte, sich mit der Unfreiheit des Willens zu beschäftigen, der darf also feststellen, dass er sich in guter Gesellschaft befindet.
Weil auf der Erde das Gesetz von Ursache und Wirkung gilt und Naturgesetze keine Ausnahmen kennen, muss auch das, was wir wollen, eine Ursache haben und kommt deshalb nicht „frei“ zustande. Was aber steuert unseren Willen, warum „wollen“ wir dieses und jenes, oder „wollen“ es nicht? Was ist die Ursache für unser Verhalten?
Die Beispiele von „Fritz in der Hängematte“ oder vom „Brötchenkauf“ sollten es veranschaulicht haben, dass wir immer das "wollen müssen", was uns angenehm ist, also was uns gute Gefühle erleben lässt, und das nicht "wollen können", was uns unangenehm ist, also was uns ungute Gefühle erleben lässt. Ungute Gefühle können wir nur dann wollen, wenn wir sie als Preis akzeptieren, um angenehme Gefühle zu erleben, oder noch größere unangenehme Gefühle zu vermeiden.
Kurz gefasst lautet das Verhaltensgesetz:
Jedes Verhalten ist darauf ausgerichtet,
gute Gefühle zu erleben und
ungute Gefühle zu vermeiden.
Weil das, was auch immer wir wollen, in Übereinstimmung mit unserem Überlebensimpuls ist, haben wir den Eindruck, unser Wille wäre frei. Wir können nur wollen, was uns (letzten Endes) gut tut. Dafür nehmen wir nicht selten auch ungute Gefühle in Kauf. Wir strengen uns an, um ein Ziel zu erreichen. „Dafür gehe ich durchs Feuer,“ heißt es.Was uns gut tut, wird nach unserer genetischen Veranlagung und unseren Lebenserfahrungen festgelegt, sowie aus unseren Einstellungen, die wir daraus gebildet haben. Ob das, was wir wollen, wirklich gut für uns ist, hängt von der Qualität unserer Einstellungen ab. Diese sind „Gott sei Dank!“ änderbar, im Gegensatz zu unserer genetischen Veranlagung und unseren bis hierhin gemachten Erfahrungen.
Vom ersten Tag unseres Lebens machen wir Erfahrungen. Das Baby isst und trinkt und merkt sich, "wie" es schmeckt, und ob es angenehm oder unangenehm ist. Das Baby wird gestreichelt, gewickelt, hoch genommen, usw. Es merkt sich die Art der Berührung und ob sie angenehm ist oder nicht. Tag für Tag, Stunde für Stunde neue Erfahrungen. Immer automatisch die Registrierung im Gedächtnis, „was“ habe ich gerade erfahren, und „wie“, also mit welchem Gefühl, habe ich es erlebt. Die Verbindung vom „Was habe ich erfahren“ mit dem „Wie habe ich es erlebt“ geschieht immer und bleibt in unserem Gedächtnis verankert.
Zurück zum Beispiel „Brötchenkauf“. Mein Lieblingsbrötchen hat eine bestimmte Form, eine bestimmte Farbe, einen bestimmten Geruch, eine bestimmte Festigkeit. Das ist das „Was habe ich erfahren“. Sobald ich an dieses Brötchen denke, erlebe ich auch das Gefühl, das sich mit diesem Brötchen verbunden hat. Das ist das „Wie habe ich es erlebt“. Aber auch umgekehrt funktioniert es. Erlebe ich ein bestimmtes Gefühl, so werden alle Erfahrungen in mir aktiviert, die eine Ähnlichkeit oder irgendeine Beziehung zu diesem Gefühl haben.
Alles, was über unsere Sinne in uns hineingelangt, das, was uns bewusst wird und das viele andere, was uns nicht bewusst wird, aktiviert bzw. belebt diejenigen bereits vorhandenen Bewusstseinsinhalte, die Ähnlichkeiten mit dem haben, was wir gerade aktuell über unsere Sinne empfangen. Würde unser Bewusstsein nicht so funktionieren, würden wir immer glauben, wir würden alles zum ersten Mal erleben. Auch diese Erkenntnis können wir durch Selbsterfahrung und logische Schlussfolgerung gewinnen.
Beispiel: Wir treffen einen Menschen, den wir vor Jahren bereits einmal getroffen und mit dem wir einige Worte gewechselt haben. Wir sagen oder denken: „Ich erinnere mich“, oder „Wenn ich mich nur daran erinnern könnte, wo ich diesen Menschen schon mal gesehen habe.“ Und das Gefühl, das ich damals hatte, taucht auch jetzt wieder auf, weil es in unserem Bewusstsein mit ihm auf wundersame Weise verbunden ist. Hier kann uns unsere Wahrnehmung nicht selten einen Streich spielen, und wir ordnen einem Menschen oder etwas anderem ein Gefühl zu, das von etwas ganz anderem verursacht war. Mehr dazu im Buch.
Weil in unserem Bewusstsein Sinneseindrücke („was“ habe ich erlebt) mit Gefühlen („wie“ habe ich etwas erlebt) verbunden sind, können auch Gefühle Gedanken und Erfahrungen hervorrufen. Wir alle haben es schon erlebt. Ein ganz bestimmter Geruch steigt uns in die Nase, und schon tauchen Bilder aus unserem letzten Urlaub in uns auf, obwohl wir gerade dabei sind, den Garten umzugraben, in der Hängematte liegen, Rasen mähen, Brötchen kaufen, auf der Schulbank sitzen oder sonst etwas machen.
Das sind Abläufe in uns, die die Natur festgelegt hat, wie das Atmen und den Herzschlag. Die Natur hat ebenfalls festgelegt, dass mit den Sinneseindrücken Gefühle verbunden werden. Manchmal sind es heftige, die Hitze der Herdplatte auf der Handfläche z.B., oder die erste Liebe, manchmal auch nur schwach spürbare.
Egal was ich „will“, der Hintergrund ist immer, dass es das Verhaltensgesetz vorschreibt: Gute Gefühle erleben und ungute Gefühle vermeiden. Das ist die erfolgreiche Strategie des Lebens. Wenn wir meinen, es gäbe einen Grund, der nicht durch unsere Gefühle verursacht wäre, haben wir noch nicht tief genug "gebohrt".
Nun kann das, was gute oder ungute Gefühle bereitet, von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein. So unterschiedlich wie die genetischen Grundlagen, die gemachten Erfahrungen und die daraus gewonnenen Einstellungen. Wir bereits festgestellt, sind allein unsere Einstellungen änderbar. Unsere Einstellungen können sich aufgrund neuer Erfahrungen ändern oder weil wir unsere bisherigen Gedanken überdenken, berichtigen und ändern.
Sich selbst und seine Einstellungen zu überdenken und zu ändern, ist nicht so leicht, jedenfalls nicht für jeden. Auch dies ist im Verhaltensgesetz begründet.
Unser Überlebensimpuls geht zunächst davon aus, dass das, was ich weiß, dazu gehören auch meine Einstellungen, wahr ist. Und das ist gut so. Trifft eine davon abweichende Information darauf, „merke“ ich das. Der erste Impuls ist Ablehnung des Neuen. Denn mein Unterbewusstsein geht ja davon aus, dass das Bisherige richtig ist. Etwas (aus meiner Sicht) Falsches „will“ ich nicht, kann ich nicht wollen, weil etwas Falsches mit unguten Gefühlen verbunden ist, die ich ja dem Verhaltensgesetz zufolge vermeiden muss. Wenn ich mit dem Bisherigen gute Gefühle erlebt und ungute Gefühle vermieden habe, bin ich auch nicht motiviert, das Neue zu überprüfen und gegen das Bisherige auszutauschen. Und wenn ich glauben würde, dass die Willensfreiheit erst den Menschen als Menschen ausmacht und dazu beiträgt, ein lebenswertes Leben führen zu können, dann würde ich nichts davon wissen wollen, dass mein Wille nicht frei ist.
Eine gesunde Neugier kann uns dazu bringen, das Neue näher zu untersuchen um herauszufinden, was wir damit anfangen können. Auch dafür ist der in uns eingepflanzte Überlebenstrieb verantwortlich. Wenn wir am Alten allerdings zu sehr gebunden sind, wirkt sich der Überlebenstrieb eben so aus, nichts zu verändern.
Für einen Wissenschaftler, dessen Fachgebiet menschliches Verhalten ist, und der die Auffassung von der Willensfreiheit vertritt und z.B. darüber diverse Bücher geschrieben hat, entsteht ein kaum erträgliches ungutes Gefühl, würde er auch nur einmal so tun, als könnte er sich geirrt haben. Da würde vielleicht sein ganzes Leben zusammenbrechen. Was würde seine Familie von ihm denken, seine Freunde, seine Mitarbeiter, seine Studenten? Diese Schwierigkeit haben alle Leiter von Einrichtungen, Organisationen, Orden usw., die die Willensfreiheit lehren.
Da kann ich gut verstehen, dass sie mit allen möglichen und unmöglichen Argumenten versuchen, ihre Auffassung als wahr behalten zu können. Vielleicht können wir die Worte Jesu „Selig sind die geistig Armen“ jetzt besser verstehen. Ich verstehe die Worte so: „Je weniger ich weiß, umso leichter fällt mir, mich mit Neuem zu befassen.“ Der Hintergrund ist, dass ich, je weniger festgelegtes Wissen ich habe, umso weniger ungute Gefühle muss ich überwinden, abweichende Meinungen ehrlich auf Wahrheitsgehalt und Nutzen für ein lebenswertes Leben zu überprüfen.
Irren ist menschlich, heißt es. Leider tendieren viele dazu, zunächst dem anderen einen Irrtum zu unterstellen. Das ist angenehmer bzw. weniger unangenehm, als zu entdecken, man selbst hätte sich geirrt. Wenn wir wissen, dass uns das Verhaltensgesetz in diese Richtung manövriert, können wir das durch eine bestimmte gefühlsbetonte Einstellung korrigieren, und zunächst prüfen, ob wir uns selbst geirrt hätten.
Nicht selten treffe ich auf Menschen, die sich einer ernsthaften Prüfung der Frage um die Freiheit oder Unfreiheit des Willens dadurch entziehen wollen, dass sie diese Frage als "philosophische" Frage bezeichnen. Womit sie andeuten wollen, dass man diese Frage, sowohl so oder so beantworten könne und für das praktische Leben unbeachtlich sei. Auch dies ist eine Flucht vor den unguten Gefühlen. Sie werden vom Verhaltensgesetz, das sie nicht wahrhaben wollen, zu diesem Verhalten veranlasst. Ihre Antwort ist nach ihrer Sichtweise die beste Möglichkeit. Ihr Verhalten ist nicht ganz so krass, wie beim oben angeführten Wissenschaftler, ist aber auch eine Flucht.
Der richtige Umgang mit Fehlern ist ein wesentlicher Faktor zur Gestaltung eines lebenswerten Lebens.
Ein weiterer Punkt des Verhaltensgesetzes ist noch von großer Bedeutung. Dass wir guten Gefühlen nachstreben und ungute Gefühle vermeiden "wollen müssen", ist bereits angeführt und wohl auch durch Selbsterfahrung akzeptiert.
Auch was andere Menschen fühlen berührt uns. Hier gibt es zwei gegensätzliche Auswirkungen, je nachdem in welcher Beziehung wir zum anderen stehen. Haben wir eine sympathische Beziehung zu einem anderen Menschen oder Lebewesen, so erleben wir dessen gute Gefühle als eigene gute Gefühle (Unser Kind hat bei einem Wettbewerb gewonnen.) und seine unguten Gefühle als eigene ungute Gefühle (Unser Kind hat sich verletzt.). Haben wir eine unsympathische oder feindliche Beziehung zu einem anderen Menschen oder Lebewesen kehrt sich das um. Dann erleben wir dessen gute Gefühle bei uns selbst als ungute Gefühle (Wir gönnen jemanden sein Glück oder Erfolg nicht.) und dessen ungute Gefühle bei uns selbst als gute Gefühle (Schadenfreude – wer ist schon frei davon?).
Solange es Menschen gibt, die Feindbilder in sich tragen, und das geht nur solange, wie Menschen an einen freien Willen glauben, gibt es Menschen, die anderen Menschen ungute Gefühle bereiten wollen oder es ihnen egal ist, ob sie mit ihrem eigenen Verhalten, anderen ungute Gefühle bereiten. Manchmal wollen andere uns auch keine unguten Gefühle bereiten, wir erleben es aber so, und unterstellen ihnen eine Absicht. Sie tun es aber unabsichtlich, manchmal tun sie es sogar in der Absicht, uns etwas Gutes zu tun. Allzu leicht haben wir dann den anderen als Feind ausgemacht und „schießen“ zurück. Unser Alltag ist voll von solchen Erlebnissen und Reaktionen. Wer wollte da von einer philosophischen Frage sprechen und dass es egal ist, welche Meinung man für richtig ansieht?